Metabolische Syndrom – Fett & Co attackieren die Gesundheit
Das metabolische Syndrom gleicht einer Bande von Halunken. Die Schurken haben vor, uns die Gesundheit zu rauben. Sie versuchen, uns zuckerkrank zu machen und unsere Blutgefässe und das Herz zu ruinieren. Vom metabolischen Syndrom sind immer mehr Leute betroffen, jetzt sogar Kinder und Jugendliche.
Das metabolische Syndrom (Stoffwechsel-Syndrom) ist die Kombination von fünf Risikofaktoren für Herz und Kreislauf.
Im Mittelpunkt dieser Risikofaktoren steht die übermässig starke Fettansammlung im Bauchbereich. Um beim Bild der Halunkenbande zu bleiben, können wir den Bandenführer also „Fettbauch“ nennen.
Das Fettdepot im Bauchraum – also das Eingeweidefett – wirkt sich weit stärker als Stoffwechsel-Risikofaktor aus als Fettdepots an anderen Körperstellen.
Wie viel Eingeweidefett im Bauch lagert, lässt sich durch Messung des Bauchumfangs leicht abschätzen. Bei Frauen wird in der Schweiz ein Bauchumfang von mehr als 88 cm als risikoreich eingestuft, bei Männern ein Bauchumfang von mehr als 102 cm.
Die Waage und die Berechnung des Körpermasseindex (BMI) geben dagegen über das Stoffwechselrisiko weit weniger gut Auskunft. Zur Bande gehören auch „Hochdruck“ (erhöhter Blutdruck), „Fettblut“ (im Blut zu viel Neutralfett, also Triglyzeride), „Cholesterinzwerg“ (im Blut zu wenig vom guten Cholesterin, also HDL-Cholesterin) sowie „Süssblut“ (Störung des Nüchtern-Blutzuckers, also zu viel Zucker im Blut).
Wenn sich mindestens zwei weitere Bandenmitglieder dem Anführer „Fettbauch“ anschliessen, geht es los auf krumme Touren. Nur wenn also mindestens drei der fünf Risikofaktoren zusammentreffen, wird der Arzt ein metabolisches Syndrom diagnostizieren.
Zwar können die Schurken auch einzeln Schaden anrichten, aber zusammen in der Bande sind sie besonders gefährlich. Die Kombination mehrerer Risikofaktoren gefährdet Herz und Gefässe also besonders stark.
5 Risikofaktoren des metabolischen Syndroms
Fett hilft im Kampf gegen Speck
Zu wenig Bewegung und Gewichtszunahme mit starker Vergrösserung der Fettdepots im Bauch sind in der Regel bei genetisch veranlagten Personen für das Ausbrechen der Zuckerkrankheit (Typ-2-Diabetes) verantwortlich.
Diabetes kann zu zahlreichen Komplikationen führen, die neben den Blutgefässen und dem Herzen auch die Nieren und die Augen betreffen. Körperliche Inaktivität und umfangreiche Bauchfettdepots stören die Wirkung des Hormons Insulin und die Verwertung des im Blut zirkulierenden Kraftstoffs der Zellen – also des Blutzuckers.
Diese Störung, die als Insulinresistenz bezeichnet wird, kann bereits zehn bis zwanzig Jahre vor dem Ausbruch der Zuckerkrankheit feststellbar sein.
Fett ist nicht gleich Fett
Viele bemühen sich, „Fettbauch“ zu jagen und hinter Gitter zu bringen. Jogging, Krafttraining und Abspeckdiäten – alle unsere Bemühungen um eine schlankere Figur werden aber schonungslos torpediert durch das im Überfluss vorhandene kalorienreiche Nahrungs- und Getränkeangebot und durch unser bewegungsarmes, motorisiertes, automatisiertes Alltagsleben.
Endlich haben Forscher nun einen Verbündeten im Kampf gegen die überschüssigen Pfunde aufgespürt. Zwar tönt es abenteuerlich, doch es stimmt: Fett hilft im Kampf gegen Speck.
Fett ist aber nicht gleich Fett, sondern es gibt weisses Fettgewebe, das ähnlich einem Heizöltank Energie speichert, und braunes Fettgewebe, das ähnlich einem Heizungsbrenner Wärme produziert.
Braunes Fettgewebe
Neugeborene besitzen zwischen den Schulterblättern ein „Heizkissen“, das aus braunem Fettgewebe besteht. Bei kühler Umgebungstemperatur erzeugt dieses Heizorgan Wärme und sorgt dafür, dass der Säugling seine normale Körpertemperatur beibehält.
Bis vor kurzem galt die Lehrmeinung, dass sich das braune Fettgewebe in der Kindheit rasch zurückbilde und bei Erwachsenen spurlos verschwunden sei.
Wozu wäre das eigene Heizkissen am Rücken noch nötig, da sich Erwachsene mit Kleidern und Raumheizungen vor dem Absinken der Körpertemperatur schützen können?
Erst vor seit kurzem setzte sich aufgrund moderner Forschungen die Erkenntnis durch, dass aktives braunes Fettgewebe durchaus auch bei Erwachsenen vorkommt, hauptsächlich am Hals und auf kleine Inseln im weissen Speicherfettgewebe des Körpers verteilt.
Insgesamt sind schätzungsweise 60 bis 130 Milliliter braunes Fettgewebe vorhanden. Schlanke Erwachsene haben mehr davon als Übergewichtige und Adipöse.
Männer haben weniger braunes Fettgewebe als Frauen. Ältere Erwachsene haben weniger als Jüngere. Weil braunes Fettgewebe bei Personen, die mit Betablockern behandelt werden, weniger aktiv ist, besteht bei Verwendung dieser Medikamente eine Tendenz zur Gewichtszunahme.
Sport besser draussen ausüben
Stellen Sie sich vor, dass sie nur leicht bekleidet in die Kühle der Nacht treten. Sie werden zu frösteln beginnen und Ihre Muskeln werden ganz fein zittern, um rasch Wärme zu produzieren.
So wird verhindert, dass die Körpertemperatur absinkt. Allmählich kommt dann auch das „Heizfettgewebe“ auf Touren. Zwei Stunden nach Absenkung der Umgebungstemperatur von 22° C (normale Zimmertemperatur) auf 16°C konnte mit einer speziellen Apparatur (PET-CT-Scan nach 18-FDG-Verabreichung) im Köper erwachsener Versuchspersonen die gesteigerte Aktivität des braunen Fettgewebes sichtbar gemacht werden.
Weil braunes Fett mithilft, weisse Fettpolster einzuschmelzen, suchen Forscher nun nach Mitteln und Wegen, um das vorhandene braune Fettgewebe stärker zu aktivieren oder um den Bestand an braunem Fettgewebe zu vergrössern.
Bereits jetzt kann aus der Entdeckung des braunen Fettgewebes bei Erwachsenen eine praktische Anregung abgeleitet werden. Wer sein Übergewicht mit Diät und körperlicher Aktivität reduzieren will, wählt vorzugsweise kühlere Umgebungstemperaturen für sein Training.
Also statt im Fitnesscenter auf dem Laufband besser draussen auf der Finnenbahn joggen!
Fett ist Energiereservoir und Chemiefabrik zugleich
Weisses Fettgewebe, das sich im Bauchraum und am ganzen Körper unter der Haut befindet, ist keineswegs lediglich ein Treibstoffspeicher, der Energie für die Lebensvorgänge liefert.
Zusätzlich ist es auch eine Fabrik bioaktiver Stoffe, die ins Blut abgegeben werden und auf den ganzen Körper einwirken. Diese hormonähnlichen chemischen Stoffe aus dem Fettgewebe heissen Adipokine.
Sie spielen wichtige Rollen bei der Regulation des Zucker- und Fettstoffwechsels, bei Entzündungsprozessen und beim Schutz der Blutgefässe.
Zu den Adipokinen gehört das Leptin. Es informiert das Gehirn darüber, wie viele Kilogramm und Gramm Fett im und am Körper eingelagert wurden. Allerdings stoppt das Gehirn nicht kurzerhand den Appetit, wenn es von zu reichhaltigen Fettreserven erfährt. Der ungehemmte Appetit macht die Abspeck-Bemühungen Übergewichtiger so ungemein schwierig.
Adiponektin ist ein sehr hilfreiches Adipokin. Es beschützt den Zucker- und Fettstoffwechsel sowie die Blutgefässe vor schädigenden Angriffen durch chemische Substanzen oder falsche Ernährung.
Adiponektin wirkt fast wie ein Handfeuerlöscher, mit dessen Hilfe es gelingt, kleine Brandherde zu löschen, bevor sie sich zur Feuersbrunst ausgeweitet haben. Wenn aber die Blutgefässe bereits so stark gelitten haben, dass sich beispielsweise ein Herzinfarkt ereignet hat, muss gewissermassen die Berufsfeuerwehr anrücken und ihre Schläuche ausrollen.
Ärzte müssen die verengten Arterien wieder ausweiten, Stents einsetzen und mit starken Medikamenten behandeln.
Adipokine stimulieren Entzündungsprozesse
Leider stehen im Körper von übergewichtigen und adipösen Personen zu wenig Handfeuerlöscher bereit, denn je mehr Eingeweidefett sich im Bauchraum ansammelt, desto weniger Adiponektin wird gebildet und ins Blut abgegeben.
Aber es fehlen nicht nur Feuerlöscher, sondern aus dem Eingeweidefettgewebe sickern zudem vermehrt andere Adipokine ins Blut und schüren gewissermassen wie Blasebälge die Brandherde, bis die Flammen auflodern.
Diese vermehrt gebildeten Adipokine stimulieren Entzündungsprozesse und begünstigen die Arteriosklerose in den Gefässwänden, bis eine enge Stelle entsteht, die plötzlich durch ein Blutgerinnsel verstopft wird. Dann ereignet sich ein Herzinfarkt oder ein Hirnschlag, weil die Blutversorgung einer Herzmuskelregion oder einer Hirnregion unterbrochen ist.
Auch die Leber wird attackiert
Das metabolische Syndrom wird in unseren Arztpraxen immer häufiger diagnostiziert. Bereits etwa ein Viertel der Erwachsenen ist betroffen.
Auch in der Leber hinterlässt das metabolische Syndrom immer häufiger seine Spuren. Die Diagnose lautet dann „nicht-alkoholische Fettleber“ oder „Fettleberentzündung“ (Steatohepatitis).
Die Fettleber (Leberzellverfettung) ist eine chronische Lebererkrankung ohne Entzündung, die in der Regel keinen schweren Verlauf nimmt und die Lebenserwartung nicht beeinträchtigt.
Wenn in der Leber zusätzlich Entzündungs- und Vernarbungsprozesse ablaufen, handelt es sich um eine Fettleberentzündung. Diese chronische Lebererkrankung kann schwer verlaufen.
Allmählich kann die Leber schrumpfen (Leberzirrhose), wobei die Gefahr besteht, dass die Leberfunktion nicht mehr ausreicht (Leberversagen) oder dass sich ein Leberkrebs bildet.
Immer häufiger bleibt bei fortgeschrittener Fettleberentzündung nur noch die Lebertransplantation als Rettung.
Änderungen im Lebensstil
Zur Behandlung von Fettleber und Fettleberentzündung stehen nicht Medikamente im Vordergrund, sondern Änderungen im Lebensstil.
In erster Linie gilt es, Übergewicht durch Diät und körperliche Aktivität dauerhaft zu reduzieren.
Unter den Getränken wirken sich Softdrinks (Limonaden, Cola) ungünstig aus, weil sie als Süssstoff viel Fruktose enthalten und dadurch die Insulinresistenz und Leberzellverfettung verstärken.
Beim Essen und als Nahrungsergänzung werden vermehrt Omega-3-Fettsäuren – und dafür weniger Omega-6-Fettsäuren – empfohlen. Beim Alkoholkonsum sollten sich Betroffene auf ein Minimum (unter 20 Gramm pro Tag) beschränken, um Entzündungsprozesse in der Leber nicht zu begünstigen.
Das metabolische Syndrom zieht immer weitere Kreise
Neuerdings weisen Experten darauf hin, dass zurzeit nicht nur Fettleibigkeit (Adipositas) und das metabolische Syndrom immer häufiger werden, sondern dass dies auch für das Bronchialasthma gilt.
Eine neue Asthmaform macht sich breit, das Asthma der Fettleibigen, das vor allem Frauen betrifft und in der Regel später im Leben beginnt als das übliche allergische Asthma.
Dass zwischen Asthma und Fettleibigkeit bzw. metabolischem Syndrom Zusammenhänge bestehen, ist erstaunlich, aber plausibel.
Vergrösserte Fettdepots am Brustkorb und im Bauchraum können das Atmen erschweren. Vom Bauchfett vermehrt freigesetzte Adipokine verstärken Entzündungsvorgänge im ganzen Körper, so auch in den Luftwegen der Lunge.
Zudem mangelt es an Feuerlöschern, weil zu wenig Adiponektin im Blut zirkuliert. Entzündungsherde in den Luftwegen, die durch Adiponektin ungenügend bekämpft werden, können Asthmabeschwerden auslösen.
Erhöhtes Krebsrisiko
Durch das metabolische Syndrom wird sogar das Krebsrisiko verstärkt.
Dieser Zusammenhang ist für verschiedene Krebsarten bekannt, z. B. für Brust- und Gebärmutterkrebs, für Dickdarm-, Bauchspeicheldrüsen- und Leberkrebs sowie für Nierenkrebs.
Vermutlich kann das metabolische Syndrom auch die geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Es wurde berichtet, dass das Risiko an Alzheimer-Demenz zu erkranken, bei Personen mit metabolischem Syndrom auf das Dreifache erhöht ist.
Zu wenig Schlaf macht kleine Kinder dick
Immer mehr Kinder und Jugendliche sind fettleibig.
Auch andere Risikofaktoren, die zum metabolischen Syndrom gehören, kommen immer häufiger bereits in der Kindheit und der Jugend vor. Es drohen Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und weitere Komplikationen des metabolischen Syndroms.
Es ist bekannt, dass Kleinkinder, die zu wenig schlafen, oft dick werden. In einer Studie aus Neuseeland (FLAME-Studie) wurde nun kürzlich gezeigt, dass ausreichend Schlaf bei Kleinkindern als Vorbeugung von Fettleibigkeit nützlich ist.
Wie kommt es, dass weniger Schlaf mehr Fettablagerungen bewirkt?
Wenn sie nicht im Bett liegen, haben die kleinen Kinder mehr Zeit zum Essen. Oft machen sie sich über Snacks her, auch wenn sie keinerlei Hunger spüren.
Dazu kommt, dass bei Schlafmangel wahrscheinlich der Appetit zunimmt, weil das stark appetitsteigernde Hormon Ghrelin vermehrt ins Blut freigesetzt wird.
Mit dunkler Schokolade gegen das metabolische Syndrom
Der in dunkler Schokolade reichlich vorhandene Kakao entfaltet erstaunliche Wirkungen, die teilweise vor den Angriffen des metabolischen Syndroms schützen können.
Kakaobäume produzieren in den Tropen ihre Früchte eigentlich nicht für die Menschen, sondern um sich mittels Samen fortzupflanzen. Affen und Vögel lieben die süsse, musartige Hülle der frischen Kakaobohnen.
Doch abstossende bittere Substanzen in den Samen sorgen dafür, dass diese nicht zusammen mit der Hülle aufgefressen werden. Erstaunlicherweise sind es genau diese pflanzlichen Bitterstoffe – die Kakaoflavanole – die bei Menschen erstaunliche Wirkungen auf die Gesundheit entfalten.
Süsses Aspirin
Der Schutzeffekt dieser faszinierenden Pflanzenstoffe beruht auf mehreren Wirkmechanismen.
Kakaoflavanole senken den erhöhten Blutdruck und hemmen Entzündungen – beides treibende Kräfte bei der Erkrankung von Blutgefässen (Arteriosklerose).
Kakaoflavanole verbessern die Insulinempfindlichkeit der Gewebe, die beim metabolischen Syndrom beeinträchtigt ist (Insulinresistenz).
Zudem beheben die Pflanzenstoffe Funktionsstörungen in der innersten Zellschicht der Blutgefässe, über die das Blut strömt (Endothelzellen). Störungen der Endothelfunktion tragen zur Arteriosklerose bei und erhöhen die Gefahr, dass es im Lauf der Jahre zu Komplikationen wie Herzinfarkt oder Hirnschlag kommt.
Überdies verhindern die Kakaoschutzstoffe, dass sich Blutplättchen an den Arterienwänden ablagern.
Deshalb gilt schwarze Schokolade als eine Art „süsses Aspirin“ für Herz und Gefässe. Flavanole verbessern die Reaktionsfähigkeit der Arterien, die bei gestörter Endothelfunktion vermindert ist.
Dadurch können die Schutzstoffe die beeinträchtigte Durchblutung wiederherstellen. Leider enthalten handelsübliche Kakaopulver und dunkle Schokoladen oft nur wenig Kakaoflavanole, aber aufgrund des hohen Fettgehalts (Kakaobutter) und des Zuckeranteils viele Kalorien.
Die kalorienarme „funktionelle“ Schokolade mit gesundheitlichem Zusatznutzen und deklariertem hohem Flavanolgehalt hat sich bisher noch nicht durchgesetzt.
Quelle: Meine Gesundheit – Ausgabe Sommer 2012 / Fred Lienhard Fritsche
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